„Woher hast Du denn den?“ Meine Mutter zeigt erstaunt auf den kleinen Couchtisch, den ich ihr in das Zimmer im Pflegeheim gebracht hatte. Ich möchte es ihr dort so gemütlich und vertraut wie möglich zu machen. Und der Tisch? Der hat doch immer vor ihrem Sofa im Wohnzimmer gestanden!
„Mama weißt Du das denn nicht mehr?“, frage ich verzweifelt.
Sie schüttelt energisch den Kopf. Den kennt sie nicht – wahrscheinlich war der schon vor Jahren aussortiert und stand im Keller. Und sowas bringe ich ihr nun! Dabei wartet sie doch auf den alten Holzengel. Aber wo soll denn der sein?
„Du musst im Flur auf dem Hängeboden suchen, den Heinz mal eingebaut hat“, erklärt sie bestimmt. Da gäbe es einen alten Pappkarton und in dem stehe er, eingewickelt in Papier.
„Weißt Du, das war das letzte Weihnachtsgeschenk meines Opas, bevor er starb“, beginnt sie zu erzählen. „Ich war vier – das muss also 1929 gewesen sein.“ Sie erzählt wie sie entzückt vor dem Engel stand, der eine Krone aus Kerzen trug und auch je ein Licht auf den Armen hielt. Die Kerzenkrone, so weiß sie, ist lange verloren gegangen und von den Armen müsse einer angeklebt werden.

Ich höre ihr fasziniert zu. Wie kann es sein, dass sie den Tisch nicht mehr erkennt, so wie sie auch den Weg ins Badezimmer ihrer alten Wohnung am Ende nicht mehr wusste. Wo doch ihre Erinnerungen so weit zurückreichen. Das letzte Weihnachtsfest mit ihrem Großvater ist genauso präsent wie eine Klassenfahrt ins noch unzerstörte Dresden und Erinnerungen an eine Gärtnersfamilie, bei denen sie ihr Pflichtjahr verbrachte.

Ich werde sie doch noch viel fragen, nehme ich mir vor.
Und auch den Arm werden wir dem Engel wieder ankleben.