Meine Mutter hat nur einmal in ihrem Leben Tagebuch geführt – zwei Jahre lang. Es waren die letzten Jahre des Krieges. Sie – gerade 20-Jährig – war zum ersten Mal von zu Hause fort im Arbeitsdienst. Die Kontakte zu ihrem Verlobten an der Front und zu den weit entfernten Eltern wurden immer schwieriger. Briefe brauchten Wochen, die Ungewissheit und die Angst wuchsen. Und zunehmend tauchte auch die Frage auf: Was mache ich eigentlich hier?
Als 14-Jährige habe ich diese drei Hefte zufällig gefunden und heimlich gelesen. Meine Mutter war stinksauer, als sie mich dabei entdeckte. Es war ihr Intimstes und aus ihrer Sicht noch viel zu früh, es der damals sehr ungehorsamen und schwierigen Tochter zu offenbaren. Und doch haben gerade diese Zeilen mir damals geholfen. Zum einen weil ich hautnah erfuhr, was sie – und ihre Generation – einst durchmachen mussten. Vor allem aber, weil ich sonst nie begriffen hätte, wie ähnlich ich der damals so fremden Mutter eigentlich bin.
Meine Mutter hat oft in ihrem Tagebuch jener Jahre gelesen. Als sie es dann – wegen einer Augenerkrankung – nicht mehr konnte, hat sie mir diese Hefte geschenkt. Dafür bin ich ihr dankbar.